Bergwanderung 1980 (?)

 

Es müsste etwa 1980 gewesen sein, als Papa auf die Idee kam, mit meinem Bruder und mir zusammen eine Hüttenwanderung im Allgäu zu machen.

 

 Jeder von uns hatte nur einen Rucksack dabei, mit allem was er brauchte. Für tagsüber hatten wir Vesper und Getränke vorbereitet. Papa hatte mir seine alte Lordomat-Kleinbild- Kamera geschenkt, damit ich fotografieren könnte. Vor ein paar Jahren habe ich sie auf Ebay versteigert, was ich heute sehr schade finde. Damals wollte ich mich von Ballast trennen, den ich sowieso nie mehr nutzen würde.

 

Wir fuhren also mit der Bahn von hier nach Oberstdorf und von dort mit dem Bus ins Kleinwalsertal, von wo wir uns im sommerlichen Sonnenschein, entlang an Wiesen, die von glockenbimmelnden Kühen bevölkert waren, auf den Weg machten. Wir hatten sehr gutes Wetter und das Wandern machte Spaß. Der erste Aufstieg war aber sehr anstrengend und mein Rucksack war total schwer. Mein kleiner Bruder hatte in der Grundschulzeit Übergewicht entwickelt. Deshalb konnte er vor lauter Schnaufen kaum mitzuhalten. Irgendwann konnte er nicht mehr weiter... Er setzte sich auf einen Baumstamm, der am Wegesrand lag und weinte, aber Papa wartete nicht auf ihn. Er ging einfach weiter...

 

Es waren an dem Tag sehr viele Wanderer auf dem Weg. Auch ich hatte Blasen an den Füßen und war entsetzt und wütend und blieb bei meinem Bruder. Er war total am Ende. Nach einer Weile raffte er sich wieder auf und wir gingen weiter. Wir kamen natürlich erst viel später als Papa bei der Rappenseehütte an. Er war gerade dabei, seelenruhig eine Gulaschsuppe zu löffeln. Ich hatte einen ziemlichen Hass auf ihn. Ich fuhr ihn an, warum er das gemacht hätte, aber er meinte nur, dass wir ja nun da seien. Auf der Hütte gab es damals nur kaltes Wasser zum waschen. Duschen gab es überhaupt nicht. Na ja... kann man ja mal für drei Tage...

 

Abends wollte ich alleine sein und setzte mich, nachdem ich eine Weile herumgegangen war auf einen Felsen, der ein Stück weit von der Hütte entfernt lag. Wie still es doch war! Man hörte nur den Wind, der über das Gras strich. Ansonsten absolute Stille. Heute sehne ich mich nach solchen Augenblicken, aber damals fühlte ich mich einfach nur einsam. Als die Sonne hinter den Bergspitzen verschwand, ging ich zurück zur Hütte.

 

Wir übernachteten in einem der Massenlager. Ich konnte lange nicht einschlafen und als es dann fast so weit war, begann mein Vater lauthals zu schnarchen. Die anderen, bestimmt 10 Leute, beschwerten sich zum Teil und wälzten sich die ganze Zeit. Papa merkte nichts. Nach einiger Zeit haute ich ihn dann kurz mit meinem Kissen, was leider kaum etwas änderte. Mein Bruder schlief anscheinend seelenruhig. Er war ja auch todmüde gewesen. In dieser Nacht bekam ich fast keinen Schlaf. Einige andere in dem Raum wahrscheinlich auch nicht.

 Am nächsten Tag ging es weiter. Über die Mindelheimer Hütte kamen wir Abends an die Fiderepass-Hütte. Dort konnte man aus nächster Nähe Murmeltiere an ihren Bauen beobachten, die sich auch füttern ließen und ein Stück entfernt gab es einen stillen aber leblosen Bergsee. Man konnte sehr viele Enziane, Silberdisteln und andere Bergblumen sehen. Ich weiß nicht mehr, wie diese Nacht verlief, aber wahrscheinlich ebenfalls relativ schlaflos. Unsere Mutter beschwerte sich schon lange, dass Papa so sehr schnarchte. Als ich später zu Hause ausgezogen war, übernahm deshalb Papa mein Zimmer und Mama schlief alleine im ehelichen Schlafzimmer.

 

Am dritten Tag, wo es Nachts etwas geregnet hatte und deshalb der Abstieg ziemlich glitschig war, ging es über das Fellhorn wieder runter ins Tal, von wo aus wir mit dem Bus zurück zum Bahnhof in Oberstdorf fuhren.

 

 

 Im Nachhinein war das damals schon ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde. So eine Wanderung habe ich nie wieder gemacht. Allerdings werde ich meinem Vater auch nie verzeihen, dass er meinem Bruder gegenüber so rücksichtslos war.