Das Ende meiner Ehe

 

Am 5. Januar 2005 konnte ich nicht mehr. Die Situation in meiner Ehe schien ausweglos, ich konnte kaum noch schlafen und hatte schlimmste Ängste. Die Stimmen quälten mich...

 

Ich ließ mir eine Einweisung in die Klinik geben und mein Mann fuhr mich mit gepackter Tasche hin. Mein Psychiater hatte mir noch gesagt, ich sollte das Medikament erwähnen, das er mir gespritzt hatte. Ich vergaß es völlig! Wir mussten bestimmt zwei Stunden in der Ambulanz warten. Ich schwankte, ob wir einfach wieder gehen sollten. Dann kam eine Ärztin und führte uns in ein Besprechungszimmer vor der geschlossenen Station.

 

Ich erklärte ihr meine Situation. Ich könnte kaum mehr schlafen und die Stimmen wären sehr gemein. Dass die Beziehung zu meinem Mann litt, erwähnte ich glaube ich nicht. Vor allem wies ich darauf hin, dass ich Angst hätte, Suizid zu begehen. Im Vordergrund stand dabei aber eigentlich die Angst davor mich gezwungen zu fühlen, das zu tun. Mein Mann behauptete, ich sei aggressiv geworden. Merkwürdigerweise fragte sie dann, ob ich nicht noch mal nach Hause gehen wollte. Wahrscheinlich weil ich vorher geäußert hatte, dass gerade meine Periode im Anmarsch sei. Ich hatte ihr erklärt, dass das bei mir jedes Mal sehr stark und langwierig wäre. Jedenfalls fragte sie dann, ob ich nicht noch eine Woche warten wollte. Ich könnte mich dann wieder melden und sie würde mir Schlaftabletten mitgeben, damit ich besser schlafen könnte. In dem Moment dachte ich, ich spinne! Gerade hatte ich ihr doch erzählt, dass ich Angst vor einem Suizid hätte, und sie wollte mir Schlaftabletten mitgeben???

 

Ich antwortete, dass ich lieber in der Klinik bleiben wollte. Mein Mann ging und sie führte mich auf dieselbe Station, wo ich die ersten beiden Male gewesen war. Ich kam in ein Zweibettzimmer. Meine Zimmergenossin war eine Frau mittleren Alters, die einen sehr traurigen Eindruck auf mich machte. Dann wurde ich mit Medikamenten versorgt. Dieses Mal fragte ich, was es sei. Es war ein Medikament Namens Solian. Über mögliche Nebenwirkungen klärte mich keiner auf. Jedenfalls kam meine Periode nicht. Da ich mich aber schon hatte sterilisieren lassen als meine Tochter vier Jahre alt war, war eine Schwangerschaft ausgeschlossen. Ich vermutete zwar einen Zusammenhang mit dem Medikament, aber niemand fragte und so sagte ich auch nichts.

 

Mir wurde immer klarer, dass mein Mann sich von mir trennen, und das über den Umweg mit der Klinik erreichen wollte. Wenn er mit den Kindern bei mir war, gab er mir zwar immer zum Abschied einen flüchtigen Kuss, aber jedes Mal bekam ich einen unangenehmen Stromschlag auf die Lippen, da sich wohl einer von uns beiden am Kunststoffboden statisch auflud. Mehrmals teilte ich meiner Ärztin meine Ängste bezüglich einer Trennung mit, aber sie hielt das wohl für wahnhaft. Immer reagierte sie mit einer Dosiserhöhung, sodass ich nach drei Wochen bei der Höchstdosis von 1200 mg Solian, plus Tavor (Beruhigungsmittel) als Bedarf, plus Citalopram (Antidepressivum) war. Meine Periode war nicht gekommen, ich war müde und schwitzte fürchterlich, fühlte mich steif und bekam zu alldem noch Milchfluss aus der Brust, aber wenigstens konnte ich mit diesem Medikament noch normal denken und war nicht so müde wie früher mit den alten Medikamenten.

 

Später erfuhr ich, dass das Ausbleiben der Periode und der Milchfluss mit einer Erhöhung des Prolaktinspiegels (Hormon) durch das Solian zusammenhing. Allerdings waren die Stimmen fast weg.  Es war eine angenehme Ruhe nach den Monaten der ständigen Beeinträchtigung durch Gesprächsfetzen, Beleidigungen und Unheilsbotschaften. Ich konnte auch sehr gut und viel schlafen und träumte lebhaft. Das Medikament nahm auch das vorher immer vorhandene Beziehungsdenken weg.

 

Nach diesen drei Wochen schlug meine Ärztin ein Paargespräch vor. Ich hatte mich inzwischen mit meiner Zimmerkollegin vertraut gemacht und sie wusste über meine Ängste. Bevor ich das Zimmer für das Gespräch verließ, vertraute ich ihr an, dass ich die Vermutung hätte, mein Mann würde mir heute sagen, dass er sich trennen wollte.

 

Als ich zum Besprechungszimmer kam, war er schon dort. Er hatte schon vorher mit der Ärztin gesprochen. Es war tatsächlich so! Er wollte, dass ich nicht mehr nach Hause käme und dass die Kinder bei ihm blieben. Ich machte zwar Versuche, die Kinder und die eheliche Wohnung für mich zu beanspruchen und er stimmte auch zuerst zu, dass er sich dann eine Wohnung suchen würde, aber die Ärztin riet davon ab. Es würde mir psychisch sehr schaden, wenn ich nach der Trennung weiterhin bei den Schwiegereltern wohnen würde. Ich hatte auch Bedenken, die Wohnung, die eigentlich sowieso  ihm gehörte, für mich zu beanspruchen. Das würde gar nicht gehen! Ich stand auf und wollte das Zimmer verlassen. Was sollte ich mit dem Kerl zusammen noch an einem Tisch sitzen? Er zerstörte unsere Familie! Die Ärztin fragte noch, wo ich hin wollte und ich sagte, dass ich in mein Zimmer gehen würde.

 

Ich konnte nicht mal weinen! Ich ging ins Zimmer, sagte der Zimmergenossin kurz, dass es tatsächlich passiert war, verkroch mich in mein Bett und starrte an die Wand, an die der vorherige Patient  Popel geschnipst hatte. Es ekelte mich an. Was tat er nur unseren Kindern an; was tat er mir an? Er war einfach das Letzte!

 

Es folgten viele Gespräche mit der Bezugsschwester und den Ärzten und später noch eine Krisensitzung mit meinem Mann, meinen Eltern und meiner Schwester, mit dem Sozialarbeiter und den Ärzten. Man versuchte mir zu helfen, aber das Hauptproblem neben der Krankheit war meine soziale Schieflage. Ich sollte mir aus der Klinik heraus eine Wohnung suchen aber wie sollte ich, so zugedröhnt mit Medikamenten etwas finden. Mein Mann zahlte zwar Unterhalt, der wahrscheinlich über dem lag, was er eigentlich hätte zahlen müssen, aber ich wusste mir trotzdem nicht zu helfen.

 

Ich machte mir sehr Sorgen um den Seelenzustand der Kinder. Zwar hatte ich mit ihnen über die Trennung geredet und dass es im Augenblick wohl besser wäre, wenn sie bei ihrem Papa wohnen blieben, weil ich große Probleme hätte, aber einmal kam meine Tochter  Sonntags mit einer total verschrammten Hand in die Klinik, weil sie gestürzt war. Sie war mit ihrer Oma väterlicherseits mit dem Roller unterwegs gewesen und wohl zu schnell gefahren. In dem Augenblick war ich mir sicher, dass ihr das mit mir nicht passiert wäre. Ich war verzweifelt! Ich hatte keinerlei Einfluss mehr!

 

Mir fehlte auch eine Arbeit und nach der Scheidung würde meine Krankenversicherung wegfallen. Meine Zimmergenossin sagte mir, sie würde in einer Behindertenwerkstätte im Büro arbeiten. Das sei ganz in Ordnung. Ich könnte mich dort sicher bewerben. In meiner Not sprach ich mit der Bezugsschwester darüber. Sie kam aus einem Nachbarort meines Geburtsortes und so wusste sie, dass dort eine Niederlassung desselben Werkstättenverbundes war.

 

Zusammen mit dem Sozialarbeiter schaute ich mir neben anderen sozialen Einrichtungen auch diese Werkstätte an. Die Arbeit dort gefiel mir zwar nicht so gut und die Gebäude waren alt und schäbig, aber ich schien keine andere Wahl zu haben. Wir stellten einen Antrag auf Aufnahme. Man sagte mir, dass das allerdings bis zu einem Jahr dauern könnte. Über meine Rechte in sozialer Hinsicht klärte mich keiner auf, sonst wäre das damals anders gelaufen.

 

In der Klinik bekam ich nun auch Arbeitstherapie. Man musste dort total nervige Aufgaben erledigen und bekam am Tagesende dafür ein paar Cent ausbezahlt. Die beiden Therapeutinnen unterhielten sich währenddessen angeregt über ihr tolles Familienleben, was mich die Verzweiflung noch mehr spüren ließ und zum Weinen gebracht hätte, wenn ich hätte weinen können.

 

Ich sollte für die ganze Klinik die Kopien erstellen. Dafür musste man morgens zu jeder der sieben Stationen und in die Verwaltung, um dort die Druckaufträge abzuholen. Dann sollte ich die Kopien mit einem supermodernen Drucker erstellen und teilweise auch binden. Ich hatte vorher so ein Gerät noch nie angefasst und ich bekam nur eine kurze Einweisung. Deshalb ging auch einiges schief und ich war ziemlich am Boden. Ich hasste diese Arbeit. Wenn man alles kopiert hatte, mussten die fertigen Aufträge wieder im Haus verteilt werden. Irgendwann beschloss ich, dazu einfach nicht in der Lage zu sein und sagte meiner Stationsärztin, dass ich das nicht mehr machen würde. Sie versuchten mich zwar umzustimmen, aber ich konnte einfach nicht verantworten, dass so viel an Materialien wegen meinen Fehlleistungen weggeworfen werden mussten.

 

Währenddessen hatte mein Mann eine Mediation angekurbelt, wo ich öfters hin musste. Mir war jedes Mal zum Heulen zumute. Die Praxis der Mediatorin lag weit von der S-Bahnhaltestelle entfernt und so musste ich jedes mal sehr weit gehen. Es kostete einen Haufen Geld und der Mediationsvertrag, der daraus entstand war das Papier nicht wert, auf dem er stand.

 

Ich hatte auch Therapiestunden bei einer Psychologin auf Station. Diese liefen so ab, dass sie sich mir gegenübersetzte und wartete bis ich etwas sagte. Ich wusste aber nicht, was ich sagen sollte und wurde wegen ihrem Schweigen immer wütender. Das zeigte ich natürlich nicht. Wir redeten wirklich nicht viel. Nachdem mein Mann die Trennung ausgesprochen hatte, fragte sie mich, ob sie mit unseren Kindern darüber reden dürfte. Vielleicht habe ja noch keiner richtig mit denen geredet. Bei dem schlechten Verhältnis, das ich zu ihr hatte, kam das gar nicht in Frage für mich. Ich sah sie böse an und sagte, dass ich das nicht wollte. Ich hatte damals schwerste Bedenken, dass sie sie mit ihrem Psychologenquatsch noch mehr durcheinander bringen würde.

 

Es gab auch andere Therapien, die ich aber in der Zeit vor der Arbeitstherapie besuchte. ZB. Ergotherapie, wo man basteln durfte. Ich bastle normalerweise sehr gerne, aber in dem Zustand in dem ich durch die Ängste und die Nebenwirkungen der Medikamente war eben nicht. Einmal äußerte ich sogar, dass ich gleich einen Herzinfarkt bekommen würde. Ich säße da und bastelte Dosen mit Serviettentechnik, hätte gleichzeitig aber keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen sollte. Die Therapeutin sagte kein Wort dazu. Auf diese Art liefen die Therapien dort ab. Man erhielt keinerlei seelische Unterstützung. Vielleicht unterstützten sie mich aber auch nur nicht, weil ich zugestimmt hatte, dass die Kinder bei meinem Mann blieben? Ich war eine Rabenmutter!

 

In der Turnhalle der Klinik gab es Bewegungstherapie. Es begann immer mit einer Aufwärmphase. Leider hatte ich nach 30 Jahren ohne Sport keinerlei Ahnung von den Spielregeln gewisser Ballspiele und so brachten meine hilflosen Versuche eine meiner jungen Mitpatientinnen ziemlich in Rage. Zum Schluss kam immer eine Entspannungsübung, die ich wenigstens versuchte zu genießen.

 

Es wurde Frühling und ich sah nicht, wie es weitergehen könnte. Als die Stationsärztin einmal in mein Zimmer kam, sagte ich zu ihr, dass ich mich völlig hilflos fühlte und überhaupt nicht weiter wüsste, was aber keinen störte. Draußen sängen die Vögel und jeder würde einfach seinen Weg gehen, ohne auf mich zu achten. Sie bejahte das einfach ohne mich in irgend einer Weise zu trösten. Die Bezugsschwester drängte die ganze Zeit darauf, dass ich eine Wohnung finden müsste.

 

Auch nach drei Monaten hatte ich noch keine Wohnung und auch keine Hoffnung mehr. Meine Schwester wollte mir helfen, aber es würde sicher noch einige Zeit dauern, bis sie etwas für mich finden würde. Meine Schwägerin wollte mich am liebsten irgendwo weit weg in einer Reha sehen. Ich hatte fürchterliche Angst, dass sie mich in ein Heim abschieben wollten.

 

In der Klinik war es kaum noch auszuhalten. Es gab Patienten, vor denen man sich ekelte. ZB. pieselte ein hageres älteres Männchen ständig in die Ecken der Station und eine ältere Dame, die wohl dement war, stopfte immer ihr Essen in ihre Handtasche und riss die Blätter der Zimmerpflanzen ab. Einzig gut war, dass  ich im Hausarbeitsraum meine Wäsche waschen und bügeln konnte. Die Duschen waren oft total verdreckt und ich schaffte es morgens nur mit Mühe pünktlich aufzustehen, das Bett zu machen und nach dem Frühstück zur Arbeitstherapie zu kommen. Durch die Medikamente war ich ständig am schwitzen.

 

Der Sozialarbeiter der Klinik besuchte mit mir einen Club für psychisch Kranke, wo ich entsetzt über die Leute dort war, und war mit mir beim Integrationsfachdienst, wo mir aber bestätigt wurde, dass es am Einfachsten wäre, in die Werkstätte zu gehen.

 

Entlassen werden könnte ich erst nachdem ich eine Unterkunft hätte und dann sollte ich in die Tagesklinik gehen, bis ich in die Werkstätte aufgenommen würde. Einmal besuchten mich unsere Trauzeugen und ich erinnerte mich, dass sie mal aus Spaß gesagt hatten, ich könnte gerne bei ihnen wohnen, wenn die Ehe schief irgendwann gehen würde. Ich traute mich aber nicht, darauf zurückzukommen und sie sagten nichts in dieser Hinsicht. Da ich keine Wohnung fand, fand ich irgendwann den Mut, meine Mutter zu fragen, ob ich erst mal bei ihr auf der Couch schlafen könnte. Sie war zwar nicht begeistert, stimmte dann aber doch zu. Eigentlich wollte ich ja mein altes Zimmer bewohnen, aber das gehörte inzwischen zur Wohnung meines Bruders, der gerade erst im Januar mit seiner Frau wieder in die zweite Wohnung im Haus meiner Mutter eingezogen war. So beschlossen wir, dass ich bei meiner Mutter im Wohnzimmer schlafen sollte. Es war mir zwar sehr peinlich, sie in meinem fortgeschrittenen Alter noch mal belästigen zu müssen, aber ich sah keine andere Möglichkeit.

 

Mehrere Wochenenden bekam ich Belastungserprobung. Das heißt einfach, dass man zu Hause ein Wochenende verbringt um auszuprobieren, ob es funktioniert. Ich schaffte es, mich auf die Eigenarten meiner Mutter einzustellen und war ihr auch sehr dankbar. Nur das Fernsehprogramm am Abend mit Volksmusik und Co., war schwer auszuhalten.

 

Als ich bei ihr eingezogen war, schaute ich mir einige Wohnungen an, die aber zu teuer waren und ich bekam auch eigentlich nur Absagen. Ich hatte gehört, dass das Sozialamt nur Wohnungskosten von 350€ übernähme und rechnete damit, dass ich demnächst von Sozialhilfe abhängig sein würde. Nach längerer Wartezeit wurde eine 1 ½-Zimmer-Dachwohnung mit angeblich 42 qm im Haus der Eltern des Freundes meiner Schwester frei. Die 42 qm waren aber mit den Dachschrägen, die normalerweise nicht mitgerechnet werden dürfen. Sie kostete nur 265€ kalt plus 100 € Nebenkosten, was für mich gerade noch bezahlbar war. Ich bekam die Zusage und meine Familie half mir beim Renovieren und dem Einbau einer Küche. Ich bekam einige Möbel aus der ehelichen Wohnung.

 

Nun hatte ich zwar eine Wohnung, aber eine wo die Kinder höchstens übers Wochenende bleiben konnten. Ich schämte mich unendlich dafür! Ich war nun arm und dazu sowieso eine schlechte Mutter!