Kinderzimmer

 

Mir war es immer wichtig, dass meine geliebten Kinder eine gewisse Privatsphäre haben. Dazu gehört für mich als Wichtigstes ein eigenes Zimmer. In meiner Kindheit war Platz in unserer Wohnung Mangelware. Deshalb hatte ich zeitweise kein eigenes Zimmer.

 

Von etwa meinem zweiten, bis zum zehnten Lebensjahr war mein Kinderzimmer der Raum, welcher eigentlich das Bad hätte werden sollen, bevor meine neun Jahre ältere Schwester darin schlief. Er war so groß, dass ca. zwei Betten von 90 cm Breite und zwei Meter Länge hineingepasst hätten. Es stand darin mein braun gestrichenes Metallbett, das mit einer dreiteiligen, mit dicken Knöpfen versehenen Matratze belegt war. Heute verwendet man solche Matratzen nicht mehr, weil sie sehr unbequem sind. Man liegt ständig irgendwo auf einer Einkerbung.

 

Neben dem Bett stand ein kleines Nachtschränkchen, wo meine Unterwäsche verstaut war und darüber gab es ein beige gestrichenes  Holzregal, wo einige Spielsachen deponiert waren. Ansonsten lagerte ich einiges unter dem Bett. Meine Schwester schlief im Wohnzimmer auf einer Klappcouch. Sie musste jeden Morgen das Bettzeug wegräumen, damit der Raum als Wohnzimmer nutzbar war. Als ich Acht war, erwischte ich sie dort mit ihrem Freund beim Sex, als unsere Eltern ihren freitagabendlichen Hüttenabend bei den Naturfreunden hatten. Eigentlich hätte es ja denen peinlich sein sollen, aber mir war es noch peinlicher. Jedenfalls wurde dann meine Schwester binnen kurzer Zeit schwanger und drei Monate später auch meine Mutter.

 

Meine Schwester heiratete sehr schnell und zog mit ihrem Mann in eine Wohnung in der Nähe. Ihr Sohn kam im September, mein Bruder einen Tag vor Weihnachten zur Welt. Erst mal stand das hölzerne Gitterbettchen im Wohnzimmer, als er ein Baby war. Als mein Bruder dann aber älter wurde, wurde getauscht. Er bekam mein Zimmerchen und ich schlief, wie zuvor meine Schwester, auf der Couch im Wohnzimmer. Keine Ahnung ob ich damals darüber traurig war. Man hatte bei uns einfach hinzunehmen, was die Eltern sagten und vorhatten und es ging ja auch nicht anders.

 

Wenn ich mich erinnere, wie viele Spielsachen meine Kinder hatten, scheint mir heute, dass ich damals kaum etwas besaß. Als ich älter wurde, spielte ich Mandoline, hatte meine Bücher die ich in der Schulbibliothek auslieh, die Schulsachen und spielte ansonsten mit den Sachen, die auch mein Bruder und die inzwischen zwei Neffen benutzten. Praktisch daran war, dass ich in dem Moment auch noch auf die Kleinen aufpasste. Ich bekam später aber auch mal von meiner Mutter ein aufgeklapptes Buch dermaßen auf den Kopf gehauen, dass die Bindung auseinanderriss, weil ich lieber las, als auf meinen kleinen Bruder aufzupassen. Unsere Kleidung wurde in einem schmalen und sehr beengten Wandschrank im Treppenhaus aufbewahrt.

 

Irgendwann kamen aber unsere Eltern wohl auf den Gedanken, dass das so nicht weitergehen konnte, als mit den Großeltern beschlossen worden war, dass meine Eltern das Haus erben sollten. Mein Vater begann, den Dachboden auszubauen, wo zwei hintereinander liegende Zimmerchen mit jeweils einem schmalen Dachfenster entstanden. Im Treppenhaus wurde eine richtige Treppe nach oben eingebaut. Unten entstand endlich ein Badezimmer, wo das Wasser über einen Ölofen erhitzt wurde. Es gab auch noch ein Waschbecken mit einem kleinen Boiler darunter. Ansonsten wurde die Wohnung über einen Kohleherd in der Küche und einen Ölofen im Wohnzimmer geheizt. Es war jedes mal eine zeitraubende und stinkige Angelegenheit, bis man endlich baden konnte, und im Winter war morgens die Wohnung eiskalt. Überhaupt wurde nur ein Mal die Woche, am Samstag, gebadet.

 

In der Bauphase erlitt unsere Mutter einen Schlaganfall und war lange Zeit im Krankenhaus. Ich erinnere mich noch, wie ich morgens in die Küche kam und mein Vater versuchte, mit ihr zu reden. Sie sagte aber kein Wort. Ihr lief der Speichel in einem feinen Faden aus dem Mund. Die linke Gesichtshälfte hing herunter. Sie sah merkwürdig verändert aus. Mein Vater schickte mich in die Schule. Als ich zurückkam war sie nicht mehr da und er erzählte mir was passiert war. Mein Bruder war damals drei.

 

Ich ging nicht gerne in die Klinik. Meine Mutter konnte nicht reden, die Klinik war sehr alt und es roch seltsam nach Desinfektionsmittel. Nachdem sie wieder nach Hause kam, war sie dauerhaft eingeschränkt, nahm aber nach einiger Zeit doch noch eine Putzstelle in der Realschule an, die ich in dieser Zeit besuchte. Jetzt nach meinen Erfahrungen mit meiner Krankheit kann ich besser einschätzen, wie schlimm das damals für die Beiden war: Sie wussten nicht, wie es mit ihr weitergehen würde, denn sie konnte erst mal gar nicht reden und war halbseitig gelähmt. Dann hatten sie auch einen Kredit für den Umbau des Hauses aufnehmen müssen, den mein Vater fast alleine bewältigte. Der einzige Lichtblick war wohl mein Schwager und die Großeltern, die im Erdgeschoss wohnten und mithalfen.

 

Ich war zwar froh, als alles fertig war, aber im Sommer herrschte eine Gluthitze und im Winter war es furchtbar kalt, sodass sich auf dem einfach verglasten Fenster am Treppenaufgang zwar sehr dekorative, aber eigentlich doch nur die bittere Kälte widerspiegelnde Eisblumen bildeten. Wir hatten zwar einen Ölradiator, aber die Farbe auf dem ekelhaften Ding stank so fürchterlich, dass ich es nur im Notfall einschaltete.

 

Die Unterteilung der Zimmer bildeten zwei Kamine, zwischen die eine Tür eingefügt worden war. Rechts und links neben den Kaminen hatte mein Vater jeweils einen kleinen Schrank und ein Regal eingebaut. Da der Schrank aber wegen der Dachschräge höchstens 60 cm breit und nicht sehr hoch war, musste ich meine Kleider hineinquetschen und auch der Wandschrank im Treppenhaus blieb in Betrieb. Ansonsten hatte ich mein Bett, einen Schreibtisch und ein altes Sideboard vom Wohnzimmer unten in meinem Zimmer. Mein Bruder hatte das uralte Bett mit den dreiteiligen Matratzen, in dem schon ich und meine 18 Jahre ältere Schwester gelegen hatten und ein Regal. Der Boden bestand aus Filzbodenplatten.

 

 

Nun hatte ich endlich wieder ein eigenes Zimmer.