Mein Sohn

 

Auf meiner Seite möchte ich nicht so viel über meine Kinder berichten, auch um sie etwas zu schützen, aber  ihre Geburt und was gleich danach kam, gehört zur Geschichte meiner Erkrankung. Deshalb will ich zumindest dieses nicht aussparen.

 

Mein Sohn ist ein Sonntagskind (Sonntags geboren) und heute glücklich und zufrieden. Ich nannte ihn nach einem früheren Klassenkameraden, den ich als sehr intelligent in Erinnerung hatte. Sein zweiter Name ist der seines Vaters. Mein Mann wollte ihm lieber den altmodischen Vornamen seines Vaters geben, was ich aber zu verhindern wusste. Trotzdem begann sein kleines Leben mit einer innerfamiliären Katastrophe.

 

Ich war damals sehr aufgeregt und hatte Angst. Noch mehr Angst hatte ich allerdings, ob ich das hinterher mit dem kleinen Würmchen überhaupt schaffen würde. Dann war da noch die Frage, in welche Klinik ich gehen sollte.

 

Ich entschied mich für eine Klinik in der Nähe, weil mein Gynäkologe dort Belegbetten hatte, obwohl sie laut meiner Mutter schon mal wegen Anästhesiefehlern in die Schlagzeilen gekommen war und sie mir abriet.

 

Als es zwei Wochen nach dem errechneten Termin immer noch nicht zu Wehen kam, meinte mein Arzt, man müsste die Geburt einleiten. Er gab mir eine Einweisung mit, worauf wir einen Termin ausmachten. Meine Kliniktasche hatte ich schon gepackt und wir fuhren los. A. war zu Hause, weil es ein Samstag war. Als wir in der Klinik anlangten, sagte ich der Schwester, dass ich nicht sicher sei, ob ich wirklich in dieser Klinik gebären wollte, aber schließlich blieb ich doch dort. Ich war dort innerlich schon ziemlich wirr vor Angst. Ich bekam ein Zimmer zugewiesen, wo außer mir niemand war und A. verabschiedete sich. Als mein Mann weg war, es war schon Abends, bekam ich ein Zäpfchen, um die Wehen einzuleiten.

 

Ich war aufgeregt und konnte lange nicht einschlafen. Unter anderem, weil ich aus einem anderen Zimmer Gelächter und Gespräche zwischen Frauen und Männern zu hören glaubte, als ob dort eine Party zugange wäre. Irgendwann Nachts wachte ich mit leichten Wehen auf und am Morgen ließ ich gleich meinem Mann Bescheid geben, dass er kommen sollte. Ich durfte nicht frühstücken, weil es ja möglich war, dass Komplikationen auftreten könnten, die einen Kaiserschnitt nötig machen würden. Ich erzählte dann meinem Mann von dem Krach aus dem Nebenzimmer, den ich am Abend gehört hatte, aber als er eine Schwester danach fragte meinte diese, das könnte nicht sein, weil dort nur eine einzelne Frau läge, die aufgrund von Schwangerschaftsproblemen strikte Bettruhe verordnet bekommen habe. Wir wunderten uns zwar, dachten aber nicht weiter darüber nach.

 

Nach der morgendlichen Untersuchung mit CTG, gynäkologischer Untersuchung, Einlauf usw. empfahl mir dann die Hebamme möglichst viel zu gehen, damit die Wehen weiter angeregt würden und die Geburt vorwärts ginge. Wir gingen also gefühlt stundenlang die Treppe im Krankenhaus runter und wieder rauf. Irgendwann kamen die Wehen in so geringen Abständen und die Schmerzen wurden so stark, dass ich das Gefühl hatte, ich würde gleich unten auseinanderreißen. Das fühlt sich an, als hätte man einen 20 Kilo Brocken im Unterleib liegen.

 

Ich konnte kaum noch weitergehen. Wir gingen also zum Kreißsaal und die Hebamme untersuchte mich. Ich sollte dortbleiben und legte mich auf den Gebärstuhl. Kurze Zeit später kam mein Gynäkologe. Mein Mann stellte sich ans Kopfende und hielt mir die Hand. Danach kam Wehe auf Wehe und die Schmerzen wurden unerträglich. Wenn man so starke Schmerzen hat, dass man denkt, es zerreißt einen, ist das schon schlimm, aber bei einer Geburt zerreißt es einen wirklich. Als das Köpfchen zu sehen war, setzte mir mein Arzt eine Spritze in den Damm, damit ich den Dammschnitt nicht spüren sollte. 

 

Davon bekam ich vor lauter Wehenschmerzen aber eigentlich nichts mehr mit. Danach setzte der Arzt eine Saugglocke an, wohl weil er dachte, ich würde es vielleicht nicht alleine schaffen, aber dann war der Kleine nach einer spontanen Anstrengung plötzlich da. Ich fluchte, vor allem weil der Einlauf morgens nicht komplett gewirkt hatte und der Arzt fluchte, weil ich zu stark und schnell presste, sodass der Damm trotzdem noch riss und er das Kind kaum auffangen konnte weil es so plötzlich kam. Der Kleine war rot und schrumpelig und fing gleich an zu schreien. Neugeborene sind vor allem von den Anstrengungen der Geburt gezeichnet. 

 

Nach einer Weile kam die Nachgeburt, die als ein glibberiges Etwas aus mir herausrutschte, was ein ziemlich ekliges Gefühl war und es schüttelte mich. Geburten sind sowieso eklig, obwohl man das meist nach einer Weile über das Glück mit dem neuen, kleinen Wesen vergisst. Während der Kleine gewaschen wurde, vernähte mein Arzt den Schnitt und den Riss. Ich spürte davon kaum etwas, fror aber entsetzlich. Mein Mann war zwar leichenblass, aber er durfte den Kleinen halten und freute sich, einen gesunden Sohn bekommen zu haben.

 

Man brachte mich in einen Nebenraum und deckte mich zu. Dann durfte der Kleine das erste Mal an die Brust. Allerdings kam nicht viel. Die Milch schießt normalerweise erst nach ein paar Tagen richtig ein. Er hatte von der Saugglocke eine große Beule auf dem Kopf und die Augen waren zugeschwollen von den Tropfen gegen Infektionen, die jedes Kind nach der Geburt bekommt, aber die Hebamme meinte das sei nicht schlimm. Danach bekam ich Mittagessen und mein Mann  verabschiedete sich. Die Geburt hatte ca. vier Stunden gedauert.

 

Hinter den Wöchnerinnenzimmern war ein langer Gang mit Fenstern nach draußen und zu den Zimmern, in den die Bettchen mit den Babies gestellt wurden. So konnte ich den Kleinen immer zum Stillen holen. Leider hatte ich kaum Milch, das Stillen schmerzte fürchterlich und ich war wahrscheinlich wegen dem psychischen Stress emotional durcheinander. Ich entschloss mich zum Zufüttern. Da ich auf Nachfrage wegen Allergien in der Familie mitgeteilt hatte, dass mein Mann Heuschnupfen hatte, wurde zu hypoallergener Milch geraten. Diese hatte aber Zurfolge, dass der Kleine Durchfall bekam. Die Kinderschwestern sagten dazu aber nichts und ich hielt dünnen Stuhl bei einem Neugeborenen erst mal für normal.

 

In der ersten Nacht nach der Geburt wurde plötzlich noch jemand in mein Zimmer geschoben und ich erkannte die Frau sofort. Es war H., eine meiner Kolleginnen, die auch schwanger gewesen war. Sie hatte ihr Kind einen Tag nach mir bekommen. Ein Mädchen! Wir begrüßten uns. Ich war nett zu ihr, aber es kam mir merkwürdig vor. Das konnte doch kein Zufall sein! Ich hatte auch starke Bedenken, ob sie etwas mit meinem Kind machen würde. Einmal schob sie mein Baby im Gang hinter den Zimmern ein Stück nach vorne zum Nachbarzimmer, worauf sie einen ziemlichen Anpfiff von der Kinderschwester bekam, die es zufällig mitbekommen hatte.

 Ich konnte kaum sitzen und bekam deshalb einen Sitzring. Schmerzen hatte ich trotzdem. Als meine Schwiegermutter mich besuchte, brachte sie mir das Buch "Der kleine Prinz" mit. Ich hatte das Gefühl, sie hätte das getan, weil sie meinem Kind den Tod wünschte, denn der kleine Prinz stirbt ja in dem Buch. Ich dachte, ich hätte die Eheschließung mit ihrem Sohn ja durch das Kind erst erzwungen, und sie wollte das Kind deshalb loswerden.

 

Als problematisch stellte sich heraus, dass ich damals entgegen der Ansicht der Kinderschwestern der Meinung war, es wäre besser dem Kind immer dann etwas zu trinken zu geben, wenn es schrie. Ich hatte das in einem alternativen Buch zur Säuglingspflege gelesen. Richtigerweise sollte man aber alle vier Stunden immer zur selben Zeit füttern. Das führte dann dazu, dass sich kein Rhythmus entwickelte und ich später Zuhause kaum noch Ruhephasen hatte.

 

Ich wollte möglichst schnell da raus, obwohl es mir psychisch und körperlich sehr schlecht ging. Aus heutiger Sicht hatte ich eine Paranoia... psychotisch eben... Aber das wusste ich damals nicht. Ich dachte die ganze Zeit nur, dass etwas mit mir nicht stimmte, was keiner merken durfte. Nachdem die U2 und meine Abschlussuntersuchung abgeschlossen war, konnte ich nicht länger warten. Mein Gynäkologe hatte zu dem Zeitpunkt Urlaub. Ich sagte meinem Mann, dass er mich abholen sollte.

 

 

Als ich auf ihn wartete, schob eine Schwester schon mein Bett aus dem Raum. Sie war eine Bekannte meiner Kollegin, die sie fragte, wo sie denn das Bett hinbringen würde. Die Schwester meinte daraufhin, sie bringe es in die Psychiatrie. Ob das wohl schon eine Andeutung war, mit was sie bei mir rechnete?