Meine Tochter

 

Auf meiner Seite möchte ich nicht so viel über meine Kinder berichten, auch um sie etwas zu schützen, aber  ihre Geburt und was gleich danach kam, gehört zur Geschichte meiner Erkrankung. Deshalb will ich zumindest dieses nicht aussparen.

 

Meine Tochter ist ein Sommerkind: Fröhlich und kontaktfreudig, wenn auch sehr sensibel! Sie ist an einem Montag geboren. Ich war damals knallpsychotisch.

 

Nachdem wir unseren Sohn hatten, wollte ich ihn trotz, oder gerade wegen meiner Erkrankung nicht alleine aufwachsen lassen. Er sollte ein Geschwisterchen haben. Die Stimmen waren durch die medikamentöse Behandlung in der Klinik abgeflaut und so dachte ich, dass ich das schaffen könnte. Allerdings hatte ich bei meinem Halbtagsjob an meinem alten Arbeitsplatz immer noch das Problem, dass ich teilweise dachte, die Kollegen würden hinter meinem Rücken schlecht über mich reden. Vor allem auch wegen meiner Erkrankung. Es war sehr anstrengend, mir nichts anmerken zu lassen und da fand ich die Idee, noch ein Kind zu bekommen und dem allen zu entkommen nicht schlecht. Ich setzte mit Einverständnis meines Mannes die Pille ab. Merkwürdigerweise glaube ich, genau den Zeitpunkt zu kennen, wo es zur Zeugung kam. In diesem Moment wusste ich, dass ein neues Leben entstanden ist.

 

Fast gleichzeitig kam es dann dazu, dass ich es bei der Arbeit nicht mehr aushielt. Als eine Kollegin mich fragte was mit mir los sei, schaute ich aus dem Fenster und sah im gegenüberliegenden Gebäude an einem Fenster den Schemen eines Mannes stehen, der uns anscheinend beobachtete. An diesem Tag ging ich zu meinem Chef, erzählte ihm dass es mir gesundheitlich schlecht ging und kündigte fristlos. Natürlich nahm er die Kündigung an. Wahrscheinlich dachte er an die Kosten, die durch mich mit so einer Erkrankung auf die Firma zugekommen wären. Ich packte mein Zeug und ging.

 

Meine Familie war natürlich nicht begeistert davon und sie berieten sich mit meiner Hausärztin. Sie hatten schon damit gerechnet, dass die Krankheit wiederkommen könnte. Die Hausärztin verwies mich an einen niedergelassenen Psychiater, bei dem ich bis 2018 in Behandlung war. Da ich schwanger war, wollte er mir keine Medikamente verordnen, aber ich ging regelmäßig für Gespräche zu ihm. Ich meldete mich auch beim Arbeitsamt, und erhielt aufgrund meiner Erkrankung trotz der eigenen Kündigung keine Sperre fürs Arbeitslosengeld.

 

Das Verhältnis vor allem zu meinen Schwiegereltern, in deren Haus wir ja unsere Wohnung hatten, war nicht allzu gut. Wir redeten kaum miteinander und ich dachte, sie wollten mich anscheinend am liebsten loswerden, was aufgrund meiner Erkrankung ja nicht verwunderlich gewesen wäre. Besonders mein Schwiegervater schien mich zu hassen. Allerdings bekamen wir nun eine größere Wohnung im Erdgeschoss, weil wir ja ein weiteres Kinderzimmer brauchten. Der vorherigen Mieterin wurde gekündigt und sie zog nach ein paar Monaten aus. Wir renovierten aufwendig und ich bekam eine wunderschöne und moderne Küche. Mein Sohn, der inzwischen fast drei Jahre alt war und bisher nur ein sehr kleines Zimmerchen hatte, bekam nun ein richtig schönes Kinderzimmer. Auch für das Baby hatten wir ein neu eingerichtetes Zimmer. Mein Mann richtete sich in unserem Schlafzimmer einen Arbeitsplatz zum Modellbauen ein, weil er nicht im Hobbyraum im Keller arbeiten wollte.

 

Beim Geburtsvorbereitungskurs fand ich eine nette Hebamme, die die Nachsorge nach der Geburt übernehmen wollte. Ich erzählte ihr von meiner Erkrankung. Einige Zeit vor dem errechneten Termin hatten wir im Garten beim Haus eine Grillparty mit den Schwiegerleltern und ein paar Freunden. Es war schon dunkel und mein Sohn schlief alleine in seinem Zimmer. Ich hatte schon die ganze Zeit Angst, dass ihm etwas passieren könnte und nun war er alleine drinnen. Ich konnte nicht überprüfen, ob jemand durch die offene Kellertüre reingehen würde. Plötzlich fiel auch noch ein Apfel vom Baum auf das Dach unseres Schuppens. Ich hatte den Gedanken, dass ihn jemand absichtlich dorthin geworfen hatte, schaute meine Schwester erschrocken an, aber sie lächelte nur. Es fühlte sich an wie Hähme.

 

Nun konnte ich endgültig nicht mehr und verabschiedete mich schnell von den anderen. Als ich reinkam war alles in Ordnung. Der Kleine schlief friedlich, aber ich kam nicht mehr zur Ruhe. Am nächsten Tag redete ich mit meinem Mann, dass ich in die Klinik müsste und wir fuhren zu meinem Psychiater. Ich dachte, dass die Gefahr für meinen Sohn, von überirdischen Wesen angegriffen zu werden geringer sei, wenn ich nicht da wäre. Der Psychiater meinte es sei besser, wenn ich tatsächlich ginge. Mein Mann fragte, ob ich gleich in die Wöchnerinnenstation gehen könnte, aber man riet mir zur Psychiatrie. Mein Gynäkologe hatte sowieso dazu geraten, dass ich ins Städtische Klinikum gehen sollte, weil man dort besonders gut auf Risikoschwangerschaften eingerichtet sei. Da die Psychiatrie zum Städtischen Klinikum gehörte, war somit eine übergreifende Behandlung möglich.

 

Leider war es wieder mal sehr überfüllt auf der Station, auf der die Psychotiker behandelt wurden. Die einzige Möglichkeit war ein Vierbettzimmer, in dem eine sehr alte, verwirrte Frau und dann noch eine Frau die jeden Tag eine stinkende Salbe auf die Füße geschmiert bekam und überdies noch fürchterlich schnarchte untergebracht waren. Die dritte Frau rauchte manchmal im Zimmer. Ich hatte kaum Ruhe.

 Am ersten Abend bekam ich ein Neuroleptikum, von dem ich wieder mal nicht mehr den Namen weiß. Ich erbrach das Zeug aber kurz nach dem Abendessen ins Klo und merkwürdigerweise war das Erbrochene rot. Das Medikament wurde abgesetzt. Danach bekam ich Valium. Ich dachte, dass meine schlimmen Albträume davon kamen. Es wurde auch wieder abgesetzt. Nun bekam ich ein anderes Medikament, das eigentlich keine Nebenwirkungen hatte. Nur merkte man bei den Untersuchungen, dass das Baby ständig schlief. Ab und zu wurde ich mit dem Taxi gefahren, aber meist musste ich alleine ca. eineinhalb Kilometer von der Psychiatrie zur Gynäkologie laufen. Auf die Idee mit der Straßenbahn zu fahren, kam ich nicht. Damals, als Autofahrerin, kannte ich mich nicht mit den S-Bahn-Linien aus. Ich erfuhr, dass ich ein Mädchen erwartete und freute mich. Die Geburt ließ wieder auf sich warten.

 

Da ich immer noch Angst um meinen Sohn hatte, fragte ich meinen Mann, ob zu Hause alles in Ordnung sei. Völlig arglos erzählte er mir, dass sein Rasierapparat heruntergefallen sei und nun kaputt war. Für mich hatte das natürlich gleich wieder eine übersinnliche Bedeutung. Ich dachte, die Stimmen hätten damit zu tun gehabt.

 

Als unser Sohn zu Besuch in die Klinik kam, durfte er ins Stationszimmer und bekam eine Plastikspritze geschenkt. Einige der Pfleger kannten mich noch vom ersten Aufenthalt und freuten sich nun, das Baby von damals als gesunden, dreijährigen Jungen wiederzusehen.

 

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus in dem Zimmer. Ich beschwerte mich. Die einzige Möglichkeit war aber das Musikzimmer. Man schob mein Bett dort hinein, aber die Stimmen waren sehr schlimm. Nachts sagte öfters eine Stimme, dass ein Mann von unten kommen würde, um mir das Baby aus dem Bauch zu schneiden. Unten war die geschlossene Station und ich hatte sehr Angst, denn ich war ja allein und wie konnte man sicher sein, dass da Nachts niemand mit dem Fahrstuhl auf Station fahren würde, um das zu tun? Ich ließ mich also lieber wieder in das schreckliche Zimmer zurückverlegen, wo ich mich geschützter fühlte, aber wegen den anderen nicht richtig schlafen konnte.

 

Immer wieder hörte ich während meines Aufenthaltes meine männliche Stimme sagen: „Hinten raus und dann runter und dann rauf!“ Einmal fragte ich einen Arzt, was das wohl bedeuten könnte, aber er meinte nur lächelnd, er wisse es nicht. Insgeheim kam ich aber auf den Gedanken, dass das bedeutete, dass ich mich umbringen sollte, denn hinten im Flur war ein Fenster. Wenn ich mich da rausstürzen würde, würde ich runterfallen und hinterher vielleicht rauf in den Himmel kommen. Das Fenster war aber glücklicherweise vergittert.

 Ich konnte das nicht mehr aushalten! Ich holte mir ein Glas ins Zimmer, wo zu der Zeit keiner war, zerschlug es im Waschbecken und saß mit einer Scherbe in der Hand davor. In Gedanken fragte ich die Stimmen, ob ich es tun sollte. Sie lachten mich aber nur aus. Sie schienen zu wissen, dass ich es nicht tun könnte. Ich wollte auch nicht, dass mein Baby sterben würde. So warf ich die Scherben in den Mülleimer, bevor jemand kam und tat so, als ob nichts passiert sei. Niemand bemerkte etwas.

 

Wieder war ich zwei Wochen über dem Termin und es kündigten sich keine Wehen an. So entschlossen wir uns wieder, die Geburt einleiten zu lassen. Ich wurde auf die Wöchnerinnenstation verlegt. In meinem Zimmer lag eine junge Frau, die Zwillinge als Frühgeburt bekommen hatte. Die beiden Kinder waren im Kinderkrankenhaus am anderen Ende der Stadt und so war sie meistens alleine. Sie machte sich große Sorgen um ihre Kinder, aber es ging ihr auch körperlich nicht gut nach ihrem Kaiserschnitt. Fies fand ich, dass eine Schwester sie mit vielsagendem Blick in meine Richtung fragte, ob alles in Ordnung sei. Meine Psychiaterin hatte mich gefragt, ob sie bei der Geburt dabei sein sollte. Das war das Letzte was ich wollte. Ich hasste diese Frau, die immer so ausnehmend gut gekleidet und geschminkt herumlief. Mein Mann sollte dabei sein.

 

Am nächsten Morgen wurde die Geburt per Wehentropf eingeleitet. Ich musste die ganze Zeit liegen und hatte starke, schmerzhafte Wehen, aber es ging schnell vorwärts. Bald kam mein Mann dazu. Durch das Liegen rutschte das Kind wohl nicht richtig nach unten. Der behandelnde Arzt versuchte immer wieder, eine Kopfsonde beim Baby anzubringen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das Baby jedes Mal, wenn er in den Kopf piekte mit den Beinen ausschlug und zurückrutschte. Ich bekam Panik, weil ich dachte, das Kind würde behindert zur Welt kommen, wenn das noch eine Weile so ging. Ich fauchte ihn an, er sollte das gefälligst sein lassen, was er dann auch tat, nachdem die Hebamme auch sagte, „Lass sein, lass sein!“. Wieder bekam ich einen Dammschnitt und die Kleine kam schnell zur Welt. Allerdings hatte sie zwei mal die Nabelschnur um den Hals und war knallblau. Sie wurde mir auf den Bauch gelegt und bekam ein Schläuchlein mit Sauerstoff, das ich ihr vor die Nase halten sollte. Mit der Zeit wurde ihre Farbe rosig. Ich war froh, dass sie lebte und gesund war.

 

Danach wurde ein Bild von uns und ein Fußabdruck von der Kleinen gemacht. Beides bekam ich später für die Kleine, zusammen mit einer silbernen Gedenkmünze als Andenken von der Stadt. Ich wurde gefragt, welchen Namen das Kind bekommen sollte und sagte den Namen, den wir uns ausgesucht hatten. Als Zweitnamen nannte ich den einer früheren Klassenkameradin, die total hübsch und intelligent gewesen war.

 

Ich beschloss aufgrund der Medikamenteneinnahme und den schlechten Erfahrungen nach der ersten Schwangerschaft, nicht zu stillen. Am ersten Tag bekam ich mein Baby nicht gebracht. Erst als ich am zweiten Tag fragte, wurde sie zu mir gebracht. Nach kurzer Zeit bekam sie Neugeborenengelbsucht, die aber unter einer speziellen Lampe schnell wieder verschwand. Meine Psychiaterin kam vorbei um sich zu erkundigen, wie es mir ginge. Ich erklärte ihr, dass die Stimmen seit der Geburt verschwunden seien, was nicht stimmte, aber ich wollte unbedingt nach Hause.

 

Nur eine Stimme war verschwunden. Ich hatte die Stimmen vorher gebeten, als so eine Art Schutzengel auf die Kleine acht zu geben und dachte nun, dass diese Stimme in sie gewandert sei um in Zukunft auf sie aufzupassen. Ich bat dann meine männliche Leitstimme, in Zukunft für meinen Sohn zu sorgen, aber er meinte, das würde nicht gehen. Ich denke aber, dass er trotzdem seinen eigenen Schutzengel hat.

 

 

Nach den Problemen mit meinem Sohn wegen der hypoallergenen Milch, bekam sie normale Erstlingsnahrung. Sie entwickelte sich gut und ich durfte nach einer Woche nach Hause, wo alles viel besser klappte als damals bei meinem Sohn. …