Musik

 

Bei den Naturfreunden, wo unsere ganze Familie Mitglied war, wurde oft gewandert. Es gab Mehrtagesausflüge und es wurde sehr viel Wert auf die Gemeinschaft und Mithilfe im Vereinsheim gelegt. Außerdem gab es ein Zupforchester mit Gitarren, Mandolas und Mandolinen. Mein Vater war Mitglied in einem Gesangsverein. Schon als ich klein war, lernte meine ältere Schwester Mandoline und spielte später auch im Orchester mit. Als ich ca. 12 Jahre alt war, fragte ich meinen Vater, ob ich auch ein Instrument lernen dürfte. Ich wollte gerne Gitarre spielen lernen. Der eigentliche Grund dafür waren aber nicht die für mich recht langweiligen Volkslieder, die in dem Orchester damals gespielt wurden, sondern Popsongs, die ich gerne nachspielen und dazu singen wollte. Weil ich nur dasselbe wie meine Schwester bekommen sollte, bekam ich dann aber doch nur eine Mandoline. Mir war gleich bewusst, dass damit kaum moderne Popmusik mit Gesangsbegleitung möglich war, war aber trotzdem froh, überhaupt ein Instrument lernen zu dürfen.

 

Mein Lehrer wurde von allen nur Rallenbeck genannt, weil er Rall mit Nachnamen hieß und von Beruf Bäcker war. Er war ebenfalls Mitglied bei den Naturfreunden und leitete dort zusammen mit seiner Frau das Orchester. Ein gemütlicher, freundlicher und lieber Mensch. Eigentlich war er schon lange im Rentenalter, aber immer noch sehr fit und aktiv. Der Probenraum befand sich in einem kleinen Stübchen über seiner alten Fachwerkbackstube, das man über eine quietschende Holztreppe erreichte.

 

Ein mal die Woche machte ich mich Nachmittags mit meiner Mandoline auf den Weg dorthin durchs Dorf. Mit mir zusammen lernten noch drei andere Kinder. In der Schule hatten wir zwar schon begonnen Noten zu lernen, aber dort hatte ich es irgendwie nicht kapiert. Nun ging mir aber im Gegensatz zu den anderen alles sehr leicht von der Hand. Ich lernte schnell die Noten, die Griffe und das Blättchen zu handhaben, mit dem man die Saiten zupft. Ich war richtig stolz auf mich. Der Unterricht baute mich total auf. Wir bekamen auch Hausaufgaben und ich übte zu Hause fleißig.

 

Nach einiger Zeit durfte ich auch beim Orchester mitspielen. Die Auftritte waren sehr anstrengend für mich. Nicht wegen dem Spielen, sondern weil ich wohl schon damals einen Anflug von Paranoia hatte, und deshalb Angst von anderen Menschen beim Spielen beobachtet zu werden. Einmal wollte mich ein Fotograf des Ortsblättchens beim Spielen fotografieren, was mich total fertig machte. In der achten Klasse hatte ich auch schlimme Probleme vor allem mit Mathematik aber auch Physik und Chemie. Vorgeblich um mehr Zeit zum Lernen zu haben, gab ich das Orchester auf. In Wirklichkeit hatte ich aber Angst davor, vor anderen Menschen aufzutreten. So spielte ich nur noch zu Hause.

 

Etwas später sollte mein Bruder ein Instrument bekommen. Weil unser Großcousin Elektroorgel lernen durfte und eine Hauslehrerin hatte, bekam auch mein Bruder ein solches Instrument, das zuerst in der Küche und später im Wohnzimmer stand. Es nahm bestimmt eine Länge von 1,80 m an der Wand ein. Ich war ziemlich interessiert und setzte mich immer dazu, wenn die Lehrerin kam. Nach einer Weile spielte ich natürlich besser als mein Bruder, denn er war zu der Zeit noch ziemlich jung. Die Lehrerin unterstützte mich bei meinen Eltern, damit auch ich Unterricht bekam. Tatsächlich durfte ich. Nach einer Weile wurde dann die Hauslehrerin zu teuer und wir fuhren zum Unterricht in eine Musikschule, ca. 20 km von unserem Wohnort entfernt. Irgendwann dachten sich unsere Eltern dann aber wohl, dass wir genug gelernt hätten und lösten den Vertrag mit der Musikschule auf.

 

 

 Die Orgel stand noch sehr lange im Wohnzimmer und wir spielten auch, aber ohne die kontinuierliche Anregung der Musikschule erreichten wir keine Fortschritte mehr. Nachdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war, gab ich das Spielen vollends auf. Heute besitze ich zwar noch die Mandoline, erinnere mich aber weder an die Noten noch die Griffe der Mandoline oder der Orgel. Ich bedaure sehr, dass mir diese Fähigkeit abhanden gekommen ist.