Tagesklinik 2005

 

Als ich Anfang 2005 in der Psychiatrie war und mein Mann sich von mir trennte, wusste ich nicht wie es weitergehen sollte. Ich hatte weder Wohnung, noch Arbeit und ich konnte nichts für meine Kinder tun, als sie ab und zu am Wochenende zu sehen. Nach vier Monaten in der Klinik erbot sich meine Mutter, bei ihr wohnen zu können, bis ich eine Wohnung fände. Die Ärzte stellten dann als Bedingung für meine Entlassung, dass ich in die Tagesklinik gehen sollte, bis ich Aufnahme in der WfbM fände, wo ich mich schon im März beworben hatte. Mir war klar, dass es für mich besser wäre, wenn ich wenigstens eine gewisse Tagesstruktur hätte, denn nur den ganzen Tag bei meiner Mutter herum zu sitzen, würde unserem Verhältnis sicher nicht zuträglich sein.

 

Der Sozialarbeiter der Klinik erbot sich schon einige Wochen vor meiner Entlassung, mit mir zu der Tagesklinik zu fahren, um mich dort vorzustellen. Ich schaute mir alles an. Es schien recht klein aber gemütlich zu sein. Leider war die Klinik damals gerade im Umzug begriffen. Als ich später den Termin für meine Entlassung hatte, bekam ich gleich die Nachfolgebetreuung für die Tagesklinik.

 

Erst fiel es mir sehr schwer, jeden Morgen so früh aufzustehen, damit ich pünktlich dort war. Ich war es überhaupt nicht mehr gewöhnt, regelmäßig früh morgens aus dem Haus zu gehen. Die Therapien dauerten jeweils von 8 bis 16 Uhr. Dienstags hatten die Angestellten und Ärzte eine Teamsitzung und man durfte eine Stunde früher gehen. Freitagnachmittags gab es als Abschluss eine Kaffeetafel.

 

Die neue Klinik bestand aus zwei unterschiedlichen Bereichen. Das untere Stockwerk war für ältere Patienten, das Obere für alle unter 65 Jahren. Das Gebäude war zwar ein Altbau in der Innenstadt, dafür aber modern renoviert und recht hell. Es gab mehrere Therapiezimmer, eine Küche, einen Speisesaal, einen Toilettenraum mit Dusche, einen Aufenthaltsraum und unten im Keller einen Raum, wo Spinte standen, damit man seine Sachen unterbringen konnte. Dort gab es auch einige Liegen zum ausruhen, aber normalerweise ruhten wir uns in den Therapiepausen oben im Aufenthaltsraum auf Sesseln und einer Couch aus. Das war zwar total unbequem, aber die Kellerathmosphäre unten war bei weitem schlimmer. Außerdem gab es noch einen kleinen Hof mit einigen Gartenstühlen, wo sich vor allem die Raucher trafen.

 

Einmal die Woche wurden Morgens die Tabletten ausgegeben, man wurde gewogen und so weit ich mich erinnere, wurde auch Blut abgenommen. Ansonsten fand zuerst die Morgenrunde statt, wo sich alle Patienten, ein Arzt und ein Pfleger zum offenen Gespräch über die Situation der Einzelnen trafen. Leider wollte meistens keiner so richtig reden. Die Stimmung war dann sehr bedrückend.

 

Danach fingen die Therapien an. Die Patienten waren dafür in Kleingruppen eingeteilt.

 

Es gab zum Beispiel die Hauswirtschaftstherapie, wo man zuerst zusammen zum Einkaufen ging und danach auch zusammen kochte oder buk. Die gebackenen Kuchen oder süßen Stückchen gab es Freitags zum Nachmittagskaffee. Wenn man nicht mit kochen dran war, bekam man ein normales Mittagessen, das von der Küche des städtischen Klinikums geliefert wurde.

 

Dann gab es die Ergotherapie, wo man zB. mit Speckstein arbeiten, Mandalas oder Seidentücher bemalen, Körbchen flechten oder Linolschnitte entwerfen konnte. Weil ich durch die Reduzierung meines Medikamentes nicht mehr ganz so sehr beeinträchtigt war, machte mir das im Verhältnis zu meinem Zustand am meisten Spaß. Ich glaube, damals bekam ich noch 800 mg Solian und ein Antidepressivum täglich. Die Pausen verbrachten ich und einige andere dösend im Aufenthaltsraum.

 

Einige Male die Woche gab es eine Literaturgruppe, wo ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen und danach besprochen wurde. Außerdem gab es eine Gruppe, wo man durch kleine Rollenspiele neue Verhaltensweisen ausprobieren sollte, was mir aber total verhasst war, weil ich nicht gerne Schauspielere.

 

Ansonsten mussten wir einmal die Woche zum Sport. Weil es in der Tagesklinik keine Turnhalle gab, mussten wir dafür in die Sporthalle einer Schule und einige Male auch in die der stationären Psychiatrie. Immer mussten wir durch die halbe Stadt fahren. Dabei lief einmal eine der jungen Patientinnen, die total zugedröhnt mit Medikamenten war, fast unter eine Straßenbahn. Sport war schrecklich für mich. Ich hatte seit Jahrzehnten nichts mehr derartiges gemacht und von vielen der Mannschaftsspiele kannte ich die Regeln nicht.

 

Meine Probleme in den verschiedenen Therapien drängten mich, die Klinik zu verlassen. Heute würde ich das in den Visiten ansprechen, die mehrmals wöchentlich stattfanden. Damals wusste ich überhaupt nicht, über was ich mit dem Arzt reden sollte. Heute wüsste ich es: Über meine Abneigung gegenüber dem Sport zB..

 

Als dann feststand, dass ich im September eine Wohnung bekäme, ich im Februar des nächsten Jahres in die WfbM aufgenommen würde und die Renovierung anzugehen war, drängte ich darauf, die Klinik zu verlassen.

 

Unter der Prämisse, regelmäßig meinen behandelnden Psychiater aufzusuchen und eine ambulante Therapie zu machen, durfte ich dann die Tagesklinik verlassen. Ich bekam einen Abschlussbericht für den niedergelassenen Psychiater und eine Überweisung für Psychotherapie, die ich aber nach den Probestunden abbrach, weil ich mit der Therapeutin überhaupt nicht zurecht kam.

 

Als ich über meine Kindheit sprechen wollte, sagte sie harsch, dass wir ja nun aber erwachsen seien. Das reichte mir, denn ich sah sehr wohl Verbindungen zwischen meiner Kindheit und meinen Verhaltensweisen als Erwachsene.