Dänemark

 

In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es noch kein Internet. Wenn man mit Menschen die weit entfernt lebten in Kontakt treten wollte, telefonierte man oder schrieb Briefe. Brieffreunde waren für junge Leute eine gute Möglichkeit, Menschen aus anderen Ländern kennen zu lernen.

 

Im Englischunterricht wurde Wert darauf gelegt, dass man die Sprache auch anwendete. Eines Tages kam unsere Lehrerin mit Adressen von jungen Leuten aus anderen Ländern an, die Brieffreunde suchten. Ich fand das sehr spannend und bekam die Adresse einen jungen Dänin und einer Engländerin. Mit der Engländerin schrieb ich nicht sehr lange. Dafür aber mit der Dänin. Sie hieß Ruth. Wenn ich mich richtig erinnere, bekam dann meine Klassenkameradin M. von mir die Adresse einer Freundin von Ruth. Sie hieß Maja und wohnte noch bei ihren Eltern.

 

Ruth war etwas älter als ich und lebte schon mit ihrem Freund Bo zusammen in einem kleinen Fachwerkhäuschen, in einem an Arhus angrenzenden Dorf. Sie hatte einen Bruder, der taubstumm war und kam aus schwierigen Familienverhältnissen. Einmal öffnete meine Schwester meine Post und machte sich lustig darüber. Das empfand ich als extrem übergriffig, weil es sie überhaupt nichts anging, was wir schrieben.

 

Irgendwann kam auch mit den anderen zusammen zur Sprache, ob wir sie nicht mal in Dänemark besuchen wollten. Wir beschlossen dann, dass wir in den Sommerferien erst arbeiten würden, um danach hin zu fahren. Wir fanden einen Ferienjob in einer Tubenfabrik, wo wir genug Geld für die Fahrt mit dem Zug und den Aufenthalt verdienten. Ich war damals so etwa 16 und mein Vater wollte nicht, dass wir alleine reisen. Die Eltern von M. fanden das wohl nicht so problematisch. Jedenfalls fuhr mein Vater dann mit uns, um zu verhindern, dass wir dort vielleicht als Sexsklavinnen verkauft würden.

 

Die Fahrt war lang und anstrengend. Vorher war ich noch nie so weit von zu Hause weg gewesen. Wir fuhren im Urlaub immer nur ins Allgäu. In Hamburg hatten wir einen Zwischenstopp und sahen uns den Bahnhof an. Ich glaube, ich war damals ziemlich gestresst, weil ich immer dachte, dass uns im nächsten Moment die Koffer geklaut würden.

 

Wir wohnten in einem Zimmer im Haus von Majas Eltern. Alle sprachen gut Deutsch und Englisch. Deshalb konnte sich mein Vater mit Majas Vater unterhalten und sich überzeugen, dass alles in Ordnung war. Die ganze Familie war einige Jahre als Entwicklungshelfer in Indien gewesen. Jeden Tag gab es zu Mittag Smorrebrod und erst Abends, wenn der Vater von der Arbeit kam, ein richtiges Essen. Das waren wir von zu Hause nicht gewöhnt. Bei uns gab es immer Mittags Essen.

 

Ruth und ihr Freund hatten ein kleines, altes Auto mit dem sie uns herumfuhren. Wir sahen uns natürlich die Einkaufsstraße und das Schloss von Arhus an, in Silkeborg „den Gamble By“, die Altstadt, dann auf Jylland die Fregatte Jylland und die kleinen Gässchen der Stadt Odense. Wir machten auch einen langen Ausflug zur Insel Römö an der Nordsee, wo man wie überall in Dänemark am Strand sogar mit Autos fahren durfte. Zum Schluss fuhren wir noch zum Himmelbjerget, dem höchsten Punkt in Dänemark. M. wurde recht schnell der Liebling aller. Sie war immer sehr aufgeschlossen im Gegensatz zu mir. Maja schleppte auch einen Jungen an, der sie kennenlernen wollte. Ich freute mich zwar sehr über die Einladung und den Aufwand, den die drei betrieben, um uns Dänemark zu zeigen, aber wohl fühlte ich mich nicht wirklich. Wieder mal war ich total verklemmt und hatte immer Angst, etwas falsch zu machen. Einmal bekam ich so einen Klos in den Hals, dass ich kaum noch sprechen konnte.

 

Nach drei Wochen fuhren wir zurück. Maja und eine Cousine fuhren noch ein Stück mit uns, weil sie noch ein paar Tage Urlaub in Norwegen machen wollten.

 

 

Nach dem Urlaub schrieben wir zwar noch eine Weile, aber der Kontakt schlief dann ein. Eigentlich hätten wir sie auch zu uns einladen müssen, aber wir hatten damals keine Möglichkeiten, sie unterzubringen und so ein Programm wie sie hätten wir auch nicht ausführen können.

 

 

Jahre später, als wir schon Kinder hatten, fuhren wir als Familie einmal nach Skyärbäk, wo wir eine moderne Ferienwohnung hatten und einmal nach Blavand, wo wir ein kleines, altes Ferienhäuschen im Grünen hatten. Ich würde gerne mal wieder nach Dänemark fahren. Die Strände und das Land sind so schön einsam und die kleinen Städtchen so gemütlich. Aber vielleicht hat sich das inzwischen auch schon verändert.