1978 – 1982 / Hauswirtschaftsschule und Berufskolleg

 

Als ich die mittlere Reife abschloss, war ich noch sehr unreif. Ich war unfähig, eine Lehrstelle zu finden. Es waren damals auch die geburtenstarken Jahrgänge, sodass es sowieso schwierig war. Meine Noten waren meistens nur mittelmäßig und mein Selbstbewusstsein am Boden. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Eigentlich wollte ich mit Tieren arbeiten: Tierpflegerin oder Tierarzthelferin. Aber selbst meine Bewerbung beim Zoologischen Garten ging schief. Bei jedem Bewerbungsgespräch dachte ich, dass ich abgelehnt werden würde. Wenn man mit so einem Gefühl in ein Gespräch geht, kann es nicht klappen. Meistens konnte ich den Leuten nicht mal in die Augen schauen. Es war eine schlimme Zeit. Ich fühlte mich verloren, hilflos und voller Ängste. Aus heutiger Sicht hatte ich damals massivste Depressionen. Nur bemerkte das keiner, oder sie taten so.

 

Meine Tante meinte dann, es sei gut, wenn ich meine hauswirtschaftlichen Kenntnisse verbessern würde und riet mir, mich an einer einjährigen, landwirtschaftlichen Hauswirtschaftsschule zu bewerben. Sie selbst hatten ein Gehöft bei uns im Ort, das aber nur nebenberuflich betrieben wurde. Bis die Schule anfing, wollte ich einen Ferienjob suchen und meine Mutter kannte jemanden, der bei Pfaff in der Produktion arbeitete. Er meinte, ich könnte dort arbeiten. Sogar vor diesem niedrigen Anforderungspegel hatte ich Angst. Ich vermute, meine Mutter hoffte, ich würde dort bleiben. Allerdings war mein Wunsch eine Ausbildung zu machen größer.

 

Ich wickelte und lötete die ganze Zeit Elektromotoren, bekam aber kaum Kontakt zu den anderen Arbeitern. Ich versuchte, die Arbeit möglichst gut zu machen. Öfters wurde ich gerügt, weil die anderen Akkord arbeiteten und ich als Aushilfe nicht schneller als sie sein sollte. Es herrschte die übliche Fabrikhallenatmosphäre: Überall roch es muffig nach Schmieröl. Die Hallen waren düster und man konnte das bloße Mauerwerk an den alten Wänden sehen. Meine Mittagspause verbrachte ich mit meinem Vesperbrot am Arbeitsplatz. Die meisten anderen gingen in der Kantine essen. Ich war froh, als die Zeit dort vorüber war, obwohl ich gut verdient hatte,.

 

Eigentlich war die Ausbildung in der Hauswirtschaftsschule auf die Ausbildung von Bäuerinnen und Dorfhelferinnen ausgelegt. Die Schule befand sich in einem Nachbarort und die meisten Schülerinnen waren im dortigen Internat untergebracht. Das Nachbargebäude war die Landwirtschaftsschule für Bauern.

 

Ich lernte dort alles was für die Haushaltsführung wichtig ist, angefangen vom Haushaltsbuch bis zum kochen von mehreren Gängen für eine Großfamilie und bügeln mit Bügelmaschinen, fühlte mich aber doch oft etwas ausgeschlossen, weil meine Eltern eben im Gegensatz zu denen der anderen kein Gehöft hatten. Die einzige Möglichkeit, die Ausbildung zur Dorfhelferin zu beenden wäre gewesen, ein praktisches Jahr auf einem Hof zu machen.

 

Ich konnte es mir aber natürlich wieder mal nicht vorstellen, von zu Hause wegzugehen und meine Tante und mein Onkel konnten so einen Praktikumsplatz nicht anbieten. Ständig war da diese Angst vor Übergrifflichkeiten von Männern, die sich seit dem Geschehnis damals mit den Jungs („Kuss“) in mich hineingefressen hatte, obwohl ich mich eigentlich danach sehnte einen Freund zu haben. Die meisten Jungbauern aus der Schule nebenan interessierten sich sowieso nicht für mich und den Einzigen, der sich interessierte, mochte ich nicht.

 

 

Weil ich in dieser Ausbildung keine Zukunft sah, bewarb ich mich für das kaufmännische Berufskolleg in unserer Kreisstadt. Nach dem ersten Jahr in der Hauswirtschaftsschule machte ich zwar die Abschlussprüfung, was mich aber nicht weiterbrachte. Die meisten machten mit einem Praktikum auf einem Hof weiter, um dann noch ein weiteres Jahr auf der Schule dranzuhängen.

 

Die Schule endete schon im Juni und das Berufskolleg sollte im September starten. Deshalb bewarb ich mich auf eine Zeitungsanzeige in einem Einkaufscenter für eine zeitlich begrenzte Arbeit in der Gartenabteilung. Da ich Pflanzen mochte und dachte, selbst für jemanden wie mich müsste so was zu schaffen sein, schien mir das eine gute Idee, die Zeit bis zum Start des Berufskollegs im Oktober zu überbrücken. Die Chefin der Pflanzen- und Gartenabteilung war ein älteres und rundliches Frauchen, das mir höchstens bis zur Schulter reichte. Ansonsten arbeitete dort noch eine weitere ältere Frau, ein Gärtner, der für die Gartenpflanzen zuständig war und zwei Kassiererinnen. Alle waren sehr freundlich zu mir.

 

Meine Aufgabe bestand darin, neue Ware einzuräumen, die Pflanzen zu gießen, gelbe Blätter zu entfernen, kaputte Pflanzen auszusortieren, die Auslagen schön zu drappieren, zu fegen und die Ware auszuzeichnen. Nach einer Weile durfte ich auch Kunden beraten. Die Arbeit machte mir großen Spaß und ich durfte auch oft Ableger von Pflanzen mit nach Hause nehmen. Es gab eine Kantine wo man jeden Mittag für kleines Geld essen konnte. Als meine Zeit dort langsam zu Ende ging, wurde ich gefragt, ob ich nicht bleiben wollte, aber ich wollte ja unbedingt eine Ausbildung machen, was die anderen auch verstehen konnten. Der Supermarkt selbst bildete damals nicht aus.

 

Dass ich das Berufskolleg besuchen durfte, empfand ich als großes Privileg. Man musste einen bestimmten Notenschnitt in gewissen Fächern aufweisen. Glücklicherweise konnte ich da mithalten. Die Klasse war sehr homogen und hatte einen guten Zusammenhalt. Ich schloss mich einer Gruppe Mädchen an, mit denen ich in Freistunden oder nach dem Unterricht oft etwas unternahm. Wir saßen dann zusammen in einem Café, in einem Restaurant oder machten einen Stadtbummel. Das bedeutete zum ersten Mal richtige Freiheit für mich. Vorher hatte ich so etwas nicht gekannt.

 

Leider gehörte ich zu den schlechteren Schülerinnen, was mir aber keiner der anderen übel nahm. In Buchhaltung, Französisch und Russisch hing ich schnell hinten an. Französisch und Russisch konnte ich abwählen, aber bei Buchhaltung half nichts. Am Ende des ersten Jahres war mir klar, dass ich wahrscheinlich nur knapp und mit so schlechten Noten durch die Prüfung kommen würde, und ich das zweite Jahr wegen des schlechten Schnitts nicht machen dürfte. Allerdings war es ein offenes Geheimnis, dass man wenigstens wiederholen durfte, wenn man sich durchfallen ließ. Wenn man die Prüfung mit schlechten Noten bestand, durfte man das nicht. Nachdem also klar war, dass ich den nötigen Schnitt nicht schaffen würde, ging ich einfach nicht mehr zu den mündlichen Prüfungen. Ich war ziemlich geknickt.

 

In den Ferien konnte ich wieder in dem Einkaufszentrum arbeiten. Dieses Mal allerdings an der Kasse vom Lebensmittelbereich, was für mich großen Stress bedeutete. Oft hatte ich Fehlkassen und verdächtigte nach einer Weile insgeheim sogar Kolleginnen, mir während der Pause Geld aus der Kasse genommen zu haben. Bis 10 DM Fehlkasse musste man selbst bezahlen. Alles was darüber lag, zahlte das Unternehmen. Aus heutiger Sicht war ich damals einfach zu getrieben und deshalb unkonzentriert. Sicher hätte es mir keiner übel genommen, wenn ich langsamer gearbeitet hätte. Aber ich sah eben immer nur die langen Schlangen an Menschen, die vor der Kasse standen.

 

Dank der absichtlich vermasselten Prüfung durfte ich das erste Jahr wiederholen und bekam dann im zweiten Jahr sogar eine Auszeichnung, die nur an die Schulbesten ging. Beim zweiten Durchgang schaffte ich sogar Buchhaltung und Englisch mit einer Eins.

 

In den Ferien arbeitete ich im Lager des Einkaufszentrums und half auch bei Inventuren mit. Dabei bekam ich mit wie einige stahlen. Eine der Mitarbeiterinnen wollte mich auch dazu verführen, aber ich machte nicht mit und meldete es dem Personalchef. Es wurde dann nachgeforscht und kam wohl zu einigen Entlassungen.

 

Dank des Geldes, das ich dort verdiente und dem Bafög, das ich erhielt, konnte ich mir in der Zeit des Besuches des Berufskollegs alles leisten was ich brauchte. Das war nicht viel, denn ich kaufte weder teure Kleidung noch ging ich Abends aus oder hatte teure Hobbies. Allerdings machte ich den Führerschein, den ich mehr Schlecht als Recht im zweiten Anlauf bestand. Ein Auto konnte ich mir aber vorerst nicht leisten und mein Vater ließ mich mit seinem nicht fahren. Jahre später warfen mir meine Eltern vor, dass ich damals zu Hause kein Geld abgegeben hätte. Ich bin der Meinung, es war schlimm genug, dass ich von zu Hause als einzige Unterstützung Kost und Logis bekam. Denen wäre es am liebsten gewesen, wenn ich irgendwo in einer Fabrik angeheuert hätte.

 

 Im dritten Jahr waren meine Leistungen dann nicht mehr so gut und unsere Abschlussfahrt in die DDR erlebte ich eher als traumatisierend. Dabei spielten wieder mal so Beziehungsdinge eine Rolle. Zum Ende hin bewarben sich alle und ich hatte wieder mal einfach nur den Gedanken in mir, dass ich nichts finden würde.

 

 

Glücklicherweise ergab sich dann ein Ausbildungsplatz in einer Zoohandlung, was zwar finanziell keinen Glücksgriff bedeutete aber eigentlich schon immer mein Traum gewesen war.