Lehrer

 

Schulisch war ich meistens nur Mittelmaß. Was ich liebte und wo ich auch außerordentlich gute Leistungen brachte waren Sozialkunde, Geografie, Kunst und Biologie. In Deutsch hasste ich Grammatik. Mit der Praxis hatte ich keinerlei Probleme, aber meine Unkenntnis der lateinischen Ausdrücke führte dazu, dass jeder Grammatiktest zur Katastrophe wurde. Diktate wurden nicht wegen der Rechtschreibung an sich, sondern wegen meiner Unkenntnis der Kommaregeln zu einem Misserfolg, denn jedes falsche Komma zählte als Fehler. Ich schaffte es einfach nicht, auswendig zu lernen und das fing eben schon bei den Kommaregeln und grammatikalischen Ausdrücken an.

 

Im Gegensatz dazu liebte ich es, Aufsätze zu schreiben! Ich glaube, es war in der sechsten Klasse, als Erzählformen durchgenommen wurden. Unsere Lehrerin hatte uns einige Beispiele vorgelesen und erklärt, dass man Adjektive sehr gut als Stilmittel verwenden könnte. Als der Tag kam, an dem wir die Arbeit schreiben sollten, war ich begierig zu beginnen. Ich wusste, dass ich das mit Links schaffen würde. Man konnte unter drei Themen auswählen und ich entschloss mich, einen Spaziergang an einem stillen Weihnachtsabend im knirschenden Schnee zu beschreiben. Wir hatten zwei Schulstunden Zeit und ich war schon lange vorher fertig. Freudestrahlend erzählte ich meinen Freundinnen, dass ich sicher eine Eins bekäme.

 

Einige Tage später hatte unsere Lehrerin die Aufsätze korrigiert und teilte sie aus. Ich war sehr gespannt, welche Bewertung ich bekommen hatte. Sie begann mit den schlechtesten Noten. Als schon die meisten ausgeteilt und mein Name immer noch nicht gefallen war, freute ich mich. Ich hatte wohl tatsächlich eine sehr gute Note geschrieben. Tatsächlich kam ich als Letzte dran.

 

Plötzlich schaute sie mich mit verkniffenem Gesicht an. „A., steh auf!“, herrschte sie mich an. Erschrocken stand ich hinter meinem Schreibtisch. Daraufhin griff sie mein Heft und hielt es hoch. Ich weiß nicht, wie Du das gemacht hast, aber das hier hast nicht Du geschrieben! Es ist eine Eins, aber das ist nicht Dein Stil! So schreibt jemand in Deinem Alter nicht! Du hast betrogen. Ich kann es nur nicht beweisen und deshalb muss ich dir die Note auch geben! Hier! Bitte!“, sagte sie eisig.

 

Ich denke, mir fiel damals die Kinnlade runter, genauso wie meinen Mitschülern, die mich nur stumm anstarrten. Ich sagte zwar leise, das stimme nicht, aber sie glaubte mir nicht. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es dann. Einen Moment wusste ich nicht, was ich tun sollte. Dann kam mir kurz der Gedanke, dass ich das Heft nehmen würde um damit schnurstracks zum Sekretariat zu gehen um mich über die Lehrerin zu beschweren. Danach dachte ich aber sofort, dass mir niemand glauben würde. Auch der Klassensprecher könnte mir sicher nicht helfen. Also raffte ich mich auf, ging zur Lehrerin, holte mir wortlos das Heft ab und setzte mich bestürzt an meinen Platz. Mir war eiskalt und ich verkniff mir die Tränen. So eine Ungerechtigkeit konnte ja wieder mal nur mir passieren.

 

Ich hasste diese Frau! Nach der Stunde redete ich noch mit meinen Freundinnen darüber, aber die wussten auch keinen Rat. Vielleicht glaubten sie mir ja auch nicht...  Zu Hause erzählte ich es erst gar nicht. Jedenfalls hatte mir dieses Mistbiest die ganze Freude über die gute Note vermiest und mein Vertrauen in meine Mitmenschen ein weiteres Mal in Frage gestellt.

 

Auch bei der Mittleren Reife ist mir etwas Ähnliches passiert.

 

Wir hatten damals einen Lehrer, Herrn G.. Ich erinnere mich, dass er als etwas unbeherrscht bekannt war und öfters mal mit Kreide gegen Schüler warf, wenn sie  nicht aufpassten. Ansonsten fand ich ihn ganz in Ordnung und das Fach das wir bei ihm hatten, Geografie, mochte ich auch. Ich hatte in der schriftlichen Prüfung schon sehr gut abgeschnitten. Ich hatte eine Abhandlung über die Geosynklinalen geschrieben. Extra war ich in die Landesbibliothek gefahren, hatte wochenlang diverse Fachbücher durchforstet und eine lange Abhandlung inclusive Folien für den Overhead-Projektor angefertigt. Für die mündliche Prüfung hatte ich mich außerordentlich gut vorbereitet. Am Tag der Prüfung war ich zwar aufgeregt, aber doch selbstsicher, was bei mir eine Seltenheit darstellte. Ich wusste dann tatsächlich einfach alles und berichtigte sogar meinen Prüfer bei einer Frage, wobei ich sogar die Quelle für meine Antwort nennen konnte. Ich rechnete mit einer Eins.

 

Einige Tage später begegnete ich ihm im Flur der Schule. Er rief mich zu sich und meinte dann, ich hätte das in der Prüfung zwar alles sehr gut gemacht, aber er hätte mir nur eine Zwei geben können weil er sich sonst unglaubwürdig gemacht hätte. Vor den Prüfungen wäre ich ja auf Drei gewesen. Ich schaute ihn böse an, biss mir auf die Lippen und machte schnurstracks auf den Hacken kehrt. Ich hätte also eigentlich eine Eins gehabt, wenn er mir da keinen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Hinterher strafte ich ihn dann mit Missachtung, aber was brachte das?

 

 

Wieder war ich mir sicher, dass es nichts helfen würde, einen Aufstand darum zu machen. Wer würde mir glauben oder mir auch nur helfen wollen, wenn immer alle sowieso nur unfair und gegen mich waren. Jemand anderes mit anderen Voraussetzungen hätte sich sicher gewehrt und wäre vielleicht sogar damit durchgekommen.